KURZER PROZESS

Leseprobe

KRIMI MARIE - Kurzer Prozess -

Ausschnitt aus dem Kapitel "Frank Blumbergs Albtraum"

... Marie? Marie? Bist du zu Hause? Nein!

Marie, es ist furchtbar. Ich kann nicht mehr schlafen. Er ist wieder da! Die Arme hinterm Kopf verschränkt sitzt er am Fußende meines Betts. Dieser schleimige, systemkonforme Opportunist. Ekelhaft! In all seiner Selbstgefälligkeit! Die dreckigen Absätze seiner Schuhe hinterlassen schwarze Striche auf meinem Bett. Wären an diesen Absätzen Klingen, würde er mir damit die Haut ritzen. Dazu dieses widerliche Grinsen. Jede Nacht, Marie, jede verfluchte Nacht!

Was ist von dir geblieben, Kriminalhauptkommissar Blumberg? Was? 26 Jahre, 4 Monate und 13 Tage Kriminalhauptkommissar Blumberg. Und jetzt? Ein junger Hund hat dich gebissen! Du heulst auf, zitterst im Schlaf und suchst nach dem, der du einst warst. Aber du kannst ihn nirgends finden. Der stolze Frank Blumberg wurde zerstört. Zerstört! In einem iterativ destruktiven Prozess. Ein Frischling, der im Vorbeigehen in deine Fußstapfen uriniert, hat all deine Kraft in sich aufgesogen, und nun grinst er dich an, Blumberg. Jede Nacht. Jede verfluchte Nacht! Marie, ich kann nicht mehr. Wir müssen etwas dagegen tun! Kraukoff. Immerzu Kraukoff!! Kraukoff, Kraukoff, Kraukoff. Kriminalhauptkommissar Kraukoff – das klingt wie ein Geschwür. Ekelhaft! 

Ich hab geschossen, Marie. Heute Nacht. Wieder habe ich auf ihn geschossen! Aber er bleibt und grinst. Sitzt fett in meinem Bürostuhl, lehnt sich zurück und zerschneidet mit den Stahlklingen seiner dreckigen Absätze mein weißes Bett. Setz dich anständig hin und nimm deine Füße runter! Die Füße runter, hab ich gesagt!! Ich hole die P99 und schieße. Aber er bleibt und grinst. Bleibt und grinst. Mein Schlafzimmer ist leer, Marie, komplett leer. Das Bett, ein Laken, sonst nichts. Warum steht da ein Bürostuhl? Und warum sitzt er da drauf? Marie, wo steckst du, verdammt nochmal! Warum bist du nicht zu Hause? Ich will deine Stimme hören! Ein seelenloser Vorgang ist das! Auf den Anrufbeantworter sprechen!  

Nur noch Maschinen überall, keine Menschen. Niemand hört sich mehr, niemand sieht sich mehr. Alle starren nur noch auf technische Geräte und haben das Zuhören verlernt. Die Oberfläche regiert und öffnet die Türen für Vollidioten, die ihre Scheinkompetenzen verkaufen. Darauf haben sie sich spezialisiert: Scheinkompetenzen zu verkaufen! Früher, da hat man sich den Kandidaten noch genau angeschaut und ihm aufmerksam zugehört. Die Zwischentöne waren entscheidend! Konzentriert auf die Zwischentöne gehört, schon wusste man Bescheid. Heute zählt die Maschine. Nur noch die Maschine. Alles wird immer schlimmer, Marie, immer schlimmer. Ein iterativ destruktiver Prozess. Überall tauchen sie auf, diese aalglatten Typen in feinen Stoffen. Ihr genormtes Auftreten, dieser „Ich bin’s“-, „Ich hab viel gesehen“-, „Ich kann alles“-Blick. Es funktioniert. Die Welt reagiert auf diese Hülle, auf diesen kopierten staatsmännischen Gestus, auf die gespielte Souveränität, die ihre Unwissenheit verdeckt. Dabei ist alles nur Fassade, nichts als Fassade! Substanz sieht man nicht. Substanz spürt man. Die durch langjährige Erfahrungen geschulte Intuition eines Kriminalpolizisten ist durch nichts zu ersetzen. Es wimmelt nur so von Kraukoffs. An jeder Ecke stehen sie. Pappkameraden sind das, nutzlose Schießbudenfiguren. Nicht Individualismus zählt, sondern das geschickte Kopieren. Was entsteht, sind Trugbilder, Hüllen, Kraukoffs. Kraukoff, ein Copy-and-Paste-Kriminologe! Ha! 

Marie, es ist furchtbar. Er starrt mich an, jede Nacht. Er starrt mich an und grinst, dieses Schwein. „Raus hier“, schreie ich, „raus hier!“ Dann die Schüsse, ich höre nicht auf. Ich schieße, schieße, schieße. Aber er bleibt, egal, wie oft ich abdrücke. Verpiss dich!! Verpiss dich endlich!! Entschuldige Marie, ich wollte dir nicht auf den Anrufbeantworter schreien. Tut mir leid, es tut mir wirklich so leid, aber ich werde einfach nicht mehr fertig damit, einfach nicht fertig …       

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